Mein Interviewpartner Udo

Leid und Freude

Interview mit Udo

Vor ein paar Tagen hatte ich Udo zu Besuch, den ich aus meiner Kirchengemeinde kenne. Mein Mann und ich hatten schon lange vorgehabt, ihn mal zum Mittagessen einzuladen. Außerdem wusste ich von seiner Lebensgeschichte und dachte, dass jemand wie er mir und dir sicherlich auch bei unserer Suche nach dem Sinn des Lebens weiterhelfen könne. Während mein Mann fleißig in der Küche werkelte, haben Udo und ich ein für uns beide sehr bewegendes Interview geführt, an dem ich dich in diesem und dem nächsten Blogbeitrag teilhaben lassen möchte.

"Ein steiniger Weg kann auch ein segensreicher Weg sein"

Katrin: Lieber Udo, ich freue mich sehr, dich heute hier zu Besuch zu haben. Du bist ein großes Vorbild für mich, weil du es schaffst, dass man in deiner Gegenwart einfach gut gelaunt sein muss. Immer wenn ich dich sehe, bist du am Strahlen und wenn ich dich nicht sehe, höre ich von irgendwoher dein Gelächter. Wieso bist du denn immer so fröhlich?

Udo:

Ganz einfach: Wegen Jesus. Jesus macht mich glücklich! Ich lasse es zu, dass er mir jeden Tag neues Glück schenkt. Ich stehe ja morgens meistens so gegen halb sechs auf und habe mir angewöhnt, vor dem Aufstehen zu beten „Herr, öffne mir die Augen und zeig‘ mir, was ich heute für dich tun kann.“ Manchmal muss ich dann auch über meine eigene Frage lachen, weil das schon oft anstrengend sein kann, mit Jesu Augen zu schauen. Deshalb habe ich an mein Gebet dann auch schon mal den Zusatz „… aber wenn’s geht, lass‘ es bitte nicht so anstrengend sein wie beim letzten Mal!“ drangehängt. Aber da hat er mir dann schon gezeigt, dass man sich das nicht einfach raussuchen kann! [er lacht schallend] … Also nee, ich bin wirklich morgens immer schon glücklich. Das fällt auch vielen an der Tankstelle auf, wo ich arbeite. Manche macht das aber auch wütend, dass ich schon früh am Morgen so gut gelaunt bin. Aber ich sage immer, wenn du gleich morgens schon alle Leute anlächelst und es kommt wenigstens ein Lächeln zurück, selbst wenn es nur ein einziges ist, dann hast du schon gewonnen.

Katrin: Das klingt nach einem guten Motto für den Start in den Tag. Wenn man dich jetzt so fröhlich hört, könnte man ja auf die Idee kommen, dass du bestimmt ein ganz glückliches und einfaches Leben hast…

Udo:

[Er lacht] Nee, da ist mein Leben wirklich das krasseste Gegenteil! Also nein, für mich ist das wirklich ein großes Geschenk, so eine Freude haben zu dürfen. Aber ich habe auch gelernt, dass ein steiniger Weg ein sehr segensreicher Weg sein kann. Je steiniger der Weg ist, umso mehr musst du dich auf Gott verlassen können. Nur er kann dir dabei auch Freude schenken, was sehr wichtig ist, weil ohne Freude ist ein wirklich steiniger Weg eigentlich gar nicht begehbar. Ich habe gelernt, dass ich eher in der Lage bin, Schwierigkeiten zu lösen, wenn ich dabei Freude empfinden darf. Freude auch bewusst zuzulassen, eine positive Einstellung zu haben und auch Humor ist ganz wichtig, um über unerklärbare Situationen hinwegzukommen. Und ich denke, dass wir auch einen sehr humorvollen Gott haben. Der beste Beweis dafür ist, dass er mich zum Glauben gebracht hat! Aber auch in der Bibel findet sich sehr viel Humor.
Udos Lächeln
Katrin: Ja, das stimmt. Und trotzdem finde ich es erstaunlich, dass du so eine tiefe Freude hast, nach allem, was du in deinem Leben schon durchgemacht hast. Angefangen natürlich mit deiner Kindheit… Kannst du uns ein bisschen davon erzählen?

Udo:

Ja, das kann ich. Gerade lebe ich wieder manche Passagen davon durch, die ich verdrängt hatte, ohne es zu wissen. Das ist ein Schutzmechanismus meines Gehirns, deshalb fällt mir einiges erst jetzt wieder ein. In meiner Kindheit ist nämlich vieles schief gelaufen und ich war immer alleine und konnte keinem davon erzählen. Mein Vater war als Kriegsinvalide frühverrentet worden und war, seit ich ihn kannte, gewaltbereiter Alkoholiker. Meine Mutter hat den ganzen Tag gearbeitet. Ich habe angefangen zu verstehen, nicht geliebt zu sein, als ich noch keine sechs Jahre alt war. Damals habe ich mich zum ersten Mal weniger wert gefühlt als eine Flasche Bier. Das lag daran, dass ich für meinen Vater wie üblich Bier vom Hotel um die Ecke holen sollte. In unserem Hausflur bin ich über die kaputten Mosaiksteine gestolpert und dabei ist mir eine der Bierflaschen kaputt gegangen. Alles war voller Scherben und ich habe sogar geblutet. Als ich zu meinem Vater in die Wohnung kam, hat er mich dafür so stark verprügelt, dass ich ins Krankenhaus musste. Ich dachte, dass ich das verdient habe und habe mich ab da dann immer schuldig gefühlt und gar nicht mehr hinterfragt, ob es gerecht ist oder nicht, dass er mich prügelt.

"Mit sieben Jahren habe ich aufgehört, Kind zu sein"

Udo:

Diese Situation war das erste Mal, dass er mich verprügelt hat, aber ab da kam es immer wieder vor, sobald er einen bestimmten Alkoholpegel erreicht hatte. Ich habe dann natürlich versucht, ihm aus dem Weg zu gehen, aber das ging kaum, weil ich der einzige war, der immer zuhause war. Zeitweise habe ich sogar trotz der Prügelei die Nähe zu meinem Vater gesucht, weil ich mich so nach Liebe gesehnt habe und dachte, ich müsste mich nur ändern, damit er mich wieder lieb haben kann.
Mit sieben Jahren kam dann der Einschnitt in meinem Leben, durch den ich aufgehört habe, Kind zu sein. Meine Mutter war für mehrere Tage unterwegs, weshalb ich an meinem siebten Geburtstag alleine mit meinem Vater zuhause war. Er hatte meinen Onkel als Saufkumpan da und ich habe ihnen wie immer Bier gebracht und bin dann ins Bett gegangen, als keine Aggressionen mehr im Raum spürbar waren. Mitten in der Nacht kam mein Onkel in mein Zimmer. Ich bin eigentlich erst aufgewacht, als schon fast alles vorbei war. Ich hab noch versucht, mich zu wehren, aber es ging nicht. Irgendwann bin ich dann auch ohnmächtig geworden, weil er mich so stark ins Kissen gedrückt hat. Vielleicht war das auch irgendwo eine Gnade in dem Moment, ich weiß es nicht. Auf jeden Fall war dann alles voller Blut und verschmutzt, als ich wieder aufgewacht bin und das war schlimm. Ich wusste gar nicht, was ich machen soll und bin so lange im Bett gesessen, bis es draußen endlich hell wurde. Dann bin ich zu meinem Vater gegangen, der noch auf dem Sofa lag. Irgendwie muss er gemerkt haben, dass was nicht stimmt, denn er ist sofort wach geworden. Ich habe ihm gesagt, der Onkel hat was gemacht und er ist mit in mein Zimmer gekommen und wollte es sehen. Und dann hat er mich verprügelt. So richtig verprügelt, nicht nur ein bisschen. Und er hat mir gesagt, wenn ich ein Wort davon meiner Mutter sage, komme ich ins Heim und sehe sie nie wieder. Das war der Tag, an dem ich meinen Vater das erste Mal Wäsche waschen gesehen habe. Aber vor allem hat es sich in mir eingebrannt, dass er zu mir gesagt hat, dass ich böse und schlecht sei und er hat auch noch viele weitere schlimme Dinge zu mir und über mich gesagt. Ab da habe ich meine ganze Kindheit lang immer gedacht, dass ich schuldig bin und ein böses Kind.

Auch nach dieser Situation hat es mit der Prügelei nicht aufgehört. Meine Mutter wurde ebenfalls geschlagen und ich hatte häufig Angst um sie. Ich habe immer versucht, die Kontrolle über die Situation zu bewahren und habe meinem Vater, wenn er ein gefährliches Level erreicht hat, so lange weiter eingeschenkt, bis er schlafen gegangen ist. Bei Familienfeiern und immer, wenn mein Onkel in der Nähe war, bin ich abgehauen. Aber mit neun Jahren war es dann nochmal so, dass ich alleine mit meinem Vater und meinem Onkel zuhause war und wieder ist mein Onkel mich angegangen. Diesmal habe ich meinem Vater nichts gesagt. Ich habe ja gedacht, dass ich selbst schuld daran bin und wollte auch nicht schon wieder Schläge dafür kassieren. Das hat sich auch danach nie geändert, ich habe oft Schläge bekommen für nichts, aber ich habe das akzeptiert, weil ich mich von Grund auf schuldig gefühlt habe. Ich habe auch nie mehr geweint danach. Ich dachte immer, ich sei so böse und schlecht und habe mich gar nicht getraut, zu versuchen, Liebe zu bekommen. Das habe ich mir auch ein Stück weit selber verwehrt, weil ich so wertlos war in meinen Augen. Mein Vater hat zum Beispiel auch zweimal die Geschenke, die ich von anderen Verwandten zu Weihnachten bekommen hatte, an andere Kinder weiterverschenkt, weil er selbst gut dastehen wollte. Ich habe also gar keine Liebe gekannt und hatte das Gefühl, sowas gar nicht verdient zu haben.

"Definitiv kein Engelchen"

Katrin: Wie ging es dann danach für dich weiter?

Udo:

Ich bin nach der ersten Klasse gleich auf die Sonderschule gekommen, weil ich einfach dicht gemacht habe und die Lehrer nicht mehr an mich rankamen. Dafür wurde ich dann natürlich auch wieder verprügelt von meinem Vater. Nachdem ein paar Wochen später mein Onkel wieder bei mir gewesen war, habe ich das erste Mal für mich selbst gebetet, nicht, wie sonst immer, für andere. Heute schäme ich mich extrem für das Gebet, aber damals habe ich einfach keinen Ausweg mehr gewusst. Die Prügeleien wurden immer mehr und der Onkel kam auch immer wieder. Deshalb habe ich gebetet, dass Gott meinem Vater so viel Kraft geben soll, dass er mich totschlägt. Dafür schäme ich mich sehr. Aber das habe ich wirklich mit neun Jahren gebetet und danach wurden die Prügeleien auch immer exzessiver.
Als ich zwölf Jahre alt war, hat meine Mutter mich einmal am Boden aufgefunden, nachdem mich mein Vater verprügelt hatte. Sie hat mich ins Krankenhaus gebracht und dabei dann endlich den Entschluss gefasst, sich von meinem Vater trennen zu lassen. Für mich kam das natürlich viel zu spät. Nach der Trennung war ich dann erst recht immer alleine zuhause. In der Schule und im Umfeld habe ich damals überall den Clown gespielt und fand es nicht schlimm, dass andere über mich gelacht haben, weil ich dachte, dann sehen sie wenigstens irgendetwas Positives in mir.

Als Jugendlicher bin ich dann total ausgeflippt und habe nur Blödsinn gemacht. In der Zeit war ich definitiv kein Engelchen. Weil ich in den letzten zwei Schuljahren vor dem Abschluss kaum noch anwesend war, wurde ich ohne Notengebung entlassen. Aber irgendwann habe ich gemerkt, hoppla, du brauchst einen Schulabschluss und habe dann den Hauptschulabschluss nachgemacht. Ohne zu lernen habe ich gerade so bestanden. Trotzdem habe ich auch danach nie irgendwas geplant und hatte auch nie etwas, für das es sich gelohnt hätte, darauf hin zu arbeiten. Ich habe zwar in verschiedene Berufe reingeschnuppert, aber davon hat mir gar nichts Spaß gemacht.

"Kein Selbstvertrauen"

Udo:

Meine berufliche Laufbahn habe ich mit einer Lehre zum Restaurantfachmann gestartet, die auch ganz gut war, aber die ich abbrechen musste, weil das Restaurant pleiteging. Also habe ich nur noch so rumgejobbt und irgendwann bin ich dann bei IKEA gelandet. Das hat mir Spaß gemacht. Da konnte ich ohne Ausbildung anfangen, da waren viele junge Mitarbeiter, alle haben sich geduzt und so weiter. Dort bin ich nach einer Weile dem Betriebsrat beigetreten und bin dann irgendwann auch Betriebsratsvorsitzender geworden. In der Position war ich aber so erfolgreich, dass mein Chef mir irgendwann Geld dafür angeboten hat, dass ich gehe. Aber so leicht habe ich nicht klein beigegeben. Ich habe erst noch einen extrem guten Sozialplan für meine Kollegen rausgehandelt, indem ich meinem Chef gesagt habe, wenn er den unterschreibt, gehe ich. Das hat nur funktioniert, weil mein Chef so arrogant war, dass er gar nicht mehr seinen Rechtsanwalt gefragt, sondern direkt unterschrieben hat. Dann erst bin ich gegangen.
Danach wollte ich Industriekaufmann werden, aber das war gar nicht so leicht, weil das damals der am höchsten anerkannte Ausbildungsberuf war und ich ja nur einen Hauptschulabschluss hatte. Also bin ich zum Arbeitsamt gegangen, die mich an den psychologischen Dienst weiterverwiesen haben. In einem dreitägigen Test sollte dort überprüft werden, ob ich überhaupt klug genug bin für so eine Ausbildung. Ich dachte erst, ok, jetzt bekomme ich Ärger weil ich so blöd bin und nichts gelernt habe. Aber dann hieß es, ich hätte einen IQ von 136. Damit durfte ich alles werden, sogar ein Studium über den zweiten Bildungsweg hätte ich damit machen können. Trotzdem war ich nicht in der Lage, das wirklich positiv für mich zu verwerten, das war einfach nicht machbar. Was mich betraf, hatte ich einfach kein Selbstvertrauen und wollte auch gar nichts in Angriff nehmen, was für mich selbst gut gewesen wäre.

Ich wurde dann Industriekaufmann, habe erst bei Mann Mobilia gearbeitet und später bei der Firma Dürr im Anlagenbau. Dort war ich für die Einführung des ERP-Systems SAP zuständig. Dazu brauchen die meisten Firmen ca. eineinhalb Jahre Zeit, bei uns sollte das aber in drei Monaten gehen. Also blieb mir nichts anderes übrig, als in die Buchhaltung, Logistik und alle anderen Abteilungen zu gehen und mir alle Prozesse im Detail erklären zu lassen. So habe ich dann die ganze Firma verstehen gelernt und wurde SAP-Verantwortlicher für das ganze Unternehmen. Einige Zeit später wurde ich sogar zum globalen IT-Key User für SAP benannt und durfte Schulungen an den verschiedensten Standorten wie zum Beispiel Mexiko oder Südkorea halten. Überall musste ich Überzeugungsarbeit leisten und dafür sorgen, dass alle die gleichen Prozesse verwenden.

"In ein tiefes Loch gefallen"

Katrin: Das klingt ja nach einer richtig steilen Karriere. Warum hast du dann damit aufgehört?

Udo:

Im Jahr 2000 bekam meine Mutter die Diagnose Krebs und es hieß, sie hätte noch maximal zwei Jahre Lebenszeit. Zu der Zeit habe ich noch bei ihr gewohnt und habe sie dann morgens versorgt, danach bin ich arbeiten gegangen, mittags habe ich sie wieder versorgt, danach bin ich wieder zurück zur Arbeit, abends habe ich sie nochmal versorgt und bin dann danach meistens auch nochmal arbeiten gegangen, weil ich damals sehr viel Verantwortung und Termindruck hatte. Als sie dann in den Rollstuhl kam, musste ich mich zwischen der Arbeit und meiner Mutter entscheiden. Natürlich habe ich mich für meine Mutter entschieden. Sie hatte sich ja auch jahrelang um mich gekümmert. Zwar konnte sie mir als Kind nie Liebe geben, aber ansonsten hat sie immer für uns Kinder gesorgt. Daher habe ich meinen Beruf gerne an den Nagel gehängt, um für meine Mutter da zu sein.
Trotzdem war es echt hart, meine Mutter zu pflegen. Wenn man irgendetwas Positives an meiner Kindheit sehen kann, dann ist es, dass ich gelernt habe, auf vieles zu verzichten und mich selbst zurückzunehmen. Das habe ich für die Zeit, in der ich meine Mutter gepflegt habe, besonders gebraucht. Ich habe mich dabei selbst aufgegeben und das fiel mir nur deshalb nicht schwer, weil ich das ja von Kindheit her gewohnt war. Heute bin ich immer noch sehr froh, diese Entscheidung getroffen zu haben. Meine Mutter hat entgegen der Prognosen noch bis 2010 gelebt, aber dann hat sie die Schmerzen einfach nicht mehr ausgehalten und ist gestorben.
Katrin: Und wie ging es danach weiter in deinem Leben?

Udo:

Dann bin ich erstmal in dieses berühmte Loch gefallen, obwohl ich dachte, da komme ich nicht rein. Zu der Zeit habe ich schon von Hartz IV gelebt. Ich hatte zwar während meiner Arbeitsjahre ordentlich gespart, aber das ging alles für die Medikamente meiner Mutter drauf. Sie hat zum Glück bis zum Schluss nicht gemerkt, dass eigentlich kein Geld mehr da war, aber mich hat das immer mehr unter Druck gesetzt und ich wusste auch irgendwann echt nicht mehr, wo ich das Geld für ihre Pflege noch herbekommen soll.
In diesem Jahr, als meine Mutter gestorben ist, habe ich mich dann daran zurückerinnert, wo es mir eigentlich überhaupt in meinem Leben mal gut ging. Und da ist mir eingefallen, dass ich als Kind in den Ferien immer ins Waldheim Dobelgarten geschickt wurde und dass mich zu dieser Zeit der Stadtdiakon sehr geschützt hat. Er hat mich einmal, als ich grün und blau geschlagen ins Waldheim kam, gefragt, was los sei. Ich habe zwar gesagt, dass mein großer Bruder mich verprügelt hätte, aber ziemlich schnell ist trotzdem rausgekommen, dass das mein Vater war. Und da ist dieser kleine, ganz liebenswürdige Mann zu meinem Vater gegangen und hat ihm gesagt, wenn er noch einmal sowas macht, legt er seine Bibel zur Seite und trifft sich nochmal ganz anders mit ihm. Das hat meinem Vater Respekt eingeflößt, weil er Opfer gebraucht hat, keine Gegner. Deshalb waren die Zeiten im Waldheim für mich immer geschützte Zeiten, in denen mich mein Vater nicht verschlagen hat.

Also habe ich mal wieder in der Kirchengemeinde vorbeigeschaut, die das Waldheim organisiert hatte. Ein Mann, mit dem ich früher gut befreundet gewesen war, hat sich so gefreut, mich zu sehen, dass er mich einfach nur in den Arm genommen hat. Ich bin dann in seinen Hauskreis gegangen, wo wir gemeinsam Bibel gelesen haben, und sonntags auch immer regelmäßiger in die Kirche. Bis ich dann an meinem Geburtstag einen richtigen Einbruch erlebt habe. Bis dahin hatte ich das aus meiner Kindheit eigentlich ganz gut verdrängt gehabt, nur an meinen Geburtstagen war es immer wieder hochgekommen. Aber jetzt, wo ich regelmäßig in der Kirchengemeinde war, an die ich auch noch Kindheitserinnerungen hatte, ließ es sich immer weniger verdrängen. Irgendwann mal ging es mir richtig schlecht. Als der Freund aus dem Hauskreis mich fragte, was los sei, habe ich ihm als erstem Menschen erzählt, was mir widerfahren ist.

"Richtige Glückseligkeit"

Udo:

Der Freund hat mir dann einen Psychologen organisiert und bezahlt, bei dem ich zwei Sitzungen in der Woche hatte. Für den Psychologen war das auch ganz neu und nicht einfach, einen Klienten mit Mehrfachtraumata zu haben, aber es war gut, endlich mit jemandem reden zu können. Trotzdem ging es mir immer schlechter. Ich wusste, ich hatte meine Mutter gepflegt, meine Verpflichtung getan, alles erledigt und könnte jetzt gehen. Ich habe zwar gerne anderen Menschen geholfen, war auch sehr aktiv im Sportverein, habe getanzt, war Sprecher für 700 Jugendliche und hatte auch noch weitere Ämter im Sport inne. Aber ich selbst hatte einfach nichts vom Leben. Ich habe keinen Sinn mehr gesehen in meinem Leben und wäre sofort dazu bereit gewesen, zu sterben, aber Selbstmord war für mich von meinen Werten her keine Option.
2013 war ich dann bei ProChrist, einer großen christlichen Veranstaltung. Dort hat eine Frau gesprochen, die keine Beine mehr hatte und ebenfalls vergewaltigt und geschlagen worden war. Trotzdem hat diese Frau so ein freundliches Grinsen gehabt. Für mich als Tänzer war es einfach unvorstellbar, wie jemand ohne Beine und der außerdem auch so ein Schicksal erleben musste wie ich, so lachen und fröhlich sein konnte. Dadurch habe ich dann mal wieder versucht, zu beten. Ich habe mich wie bei diesen Bildern von betenden Kindern, die man manchmal sieht, vor mein Bett gekniet und habe gesagt „Jesus, wenn es dich gibt, komm in mein Leben, ich brauche dich jetzt.“ Mir wurde ganz heiß und kalt und auf einmal habe ich nur noch geheult. Ich habe geheult wie ein Schlosshund und konnte gar nicht mehr aufhören. Und dann kam plötzlich so richtig Freude in mir auf, richtige Glückseligkeit! Ich kann dir das Gefühl gar nicht beschreiben, ich hatte einfach ein Lachen im Gesicht und hab‘ es gar nicht mehr weg bekommen.
Udo und ich

Udo:

Am nächsten Tag hatte ich dann wieder einen Termin beim Psychologen und obwohl wir mit den Sitzungen noch gar nicht weit gekommen waren, war das meine letzte Stunde bei ihm. Er hat mich gefragt, was mit mir los sei und ich habe nur gesagt, ich weiß es auch nicht, aber ich bin einfach glücklich. Ich habe Jesus in mein Leben aufgenommen. Er konnte das gar nicht so richtig glauben und wollte, dass ich weiter zu seinem Männergesprächskreis komme, aber ich war einfach immer glücklich, das hat gar nicht mehr aufgehört. Ich war so heftig happy, dass ich auch die Medikamente vom Psychiater nicht mehr gebraucht habe, die konnte ich alle absetzen. So habe ich ein neues Leben bekommen.

… Auch Udos neues Leben war leider nicht gerade einfach. Dennoch ist heute er derjenige, der andere Menschen tröstet, berät und ihnen auch hilft, einen Sinn in ihrem Leben zu sehen. Wie es dazu kam, kannst du im nächsten Blogbeitrag lesen.

Liebe Grüße
Deine Katrin

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